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Anhang

Auszug aus einem Vortrag

"Aus der Geschichte des Physikalischen Institutes der Freien Universität",

gehalten von Dr. Irmgard Berndt anläßlich des Festkolloquiums zum 60. Geburtstag von Prof. Hans Lassen am 12. Februar 1957.

...

Inzwischen war der 4. Dezember 1948 verstrichen und in Berlin-Dahlem die Freie Universität ins Leben gerufen worden. Sie hatte aber noch keine Lehrtätigkeit in den naturwissenschaftlichen Fächern aufgenommen, sondern im wesentlichen waren die Fächer der Geisteswissenschaften angelaufen. Als man sich jedoch entschloß, eine Naturwissenschaftliche Abteilung innerhalb der Philosophischen Fakultät aufzumachen, bekamen Sie als einer der ersten Professoren der Naturwissenschaften den Ruf als ordentlicher Professor für Experimentalphysik an die Freie Universität. Am 1. April 1949 begann hier offiziell Ihr Wirken als Ordinarius.

Ein Physikalisches Institut war indes keineswegs vorhanden. Sie in Ihrer Person bildeten auch gleichsam das Institut. Ihr schönes Heim in der Garystraße mit Ihrem Schreibtisch waren der Rahmen dafür! Als Ihre Vorlesungsassistentin war ich mit Ihnen zur Freien Universität hinübergekommen. An Ihrem Schreibtisch zu Hause studierten wir Kataloge, um die vordringlichsten Apparate herauszusuchen. Für die Vorlesung wollten wir zunächst ein paar Experimentiermöglichkeiten schaffen. Die Apparate wurden umgehend bestellt, denn hinter der Arbeit der ersten Wochen stand ein gewaltiges Druckmittel: Das war die Anmeldung von 600 - 700 Studenten zu Ihrer Experimentalvorlesung! Da sie immer ein offenes Ohr für die Angelegenheiten Ihrer Studenten haben, lag es Ihnen sehr am Herzen, Ihren Hörern eine Vorlesung mit Experimenten und nicht nur in "Kreidephysik" zu halten. Jedoch war die Lage scheinbar hoffnungslos: Über Berlin war immer noch die Blockade verhängt mit all ihren sich daraus ergebenden Schwierigkeiten. Im Universitätshauptgebäude gab es keinen Hörsaal, der die Schar der 700 hätte aufnehmen können. Berliner Firmen konnten nur in beschränktem Umfang liefern durch die Behinderung der Blockade. Bei den Westdeutschen Firmen mußte zunächst ein gewisses Mißtrauen über die Zahlungsfähigkeit der Universität beseitigt werden. Es bestanden die Schwierigkeiten des Transportes mit allen notwendigen Formalitäten über die Luftbrücke. Am liebsten hätten diese Firmen zunächst den Ausgang der Blockade abgewartet, bevor sie sich auf das Abenteuer einer Lieferung nach Berlin einließen. Aber wir hatten keine Zeit und drängten auf Heranschaffung der Apparate. Mit dem Inhalt der ersten 9 Kisten, die uns die Firma Leybold aus Köln über die Luftbrücke sandte, wurden dann tatsächlich die ersten Vorlesungsversuche aufgebaut.

Für die Unterbringung Ihres Institutes hatte man von seiten der Kuratorialverwaltung einen sehr guten Plan, dem aber auch noch manches Hindernis entgegenstand. Man wollte durch Verhandlungen mit dem Berliner Senat erreichen, daß eine seiner technischen Abteilungen, nämlich die Berliner Stadtentwässerung aus dem Gebäude hier in der Boltzmannstraße 20 auszog. Dieses Haus war in den Jahren 1936/37 als Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik errichtet worden und unter dem Namen Max-Planck-Institut 1938 eingeweiht worden. (...) Im Kriege wurde es unter Prof. Heisenberg noch erweitert. 1945 war aber auch alles, aber restlos alles in diesem Haus demontiert worden, ja bis zum letzten Gas- und Wasserhahn war alles abgeschraubt, nur die kahlen Wände blieben übrig. Das Haus diente dann vorübergehend als Bürohaus dem [?] Amerikaner, beherbergte eine Zeit lang eine Rote-Kreuz-Abteilung, stand wieder mal leer, bis dann die Berliner Stadtentwässerung davon Besitz ergriffen hatte. Diesem "Technischen Kopf" der Stadtentwässerung gefiel es ausnehmend gut in dem schönen Gebäude, und wir mußten noch geraume Zeit warten, bis er gewillt war, sein Haupt woanders niederzulegen! Die Hausverwaltung der Stadtentwässerung wollte uns sogar einreden, dies wäre lediglich ein Bürohaus und für physikalische Zwecke gar nicht geeignet! Dies mutete uns allzu grotesk an, und wir wußten wirklich besser, daß dieses Haus geradezu ideal für physikalische Arbeiten war! Nach mehreren Verhandlungen bequemte man sich, ein wenig im Hause zusammenzurücken und für das Physikalische Institut 3 Räume frei zu machen. Man gab uns die heutige Wohnung des Hausmeisterehepaares Regel. Diese Räume wurden zur Keimzelle des Institutes. Von diesem Zeitpunkt an war Ihnen, Herr Prof. Lassen, überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, Assistenten und Arbeitskräfte wenigstens in beschränktem Umfange einstellen zu können. Sie betrauten Physikstudenten der höheren Semester mit den ersten Arbeiten zum Physikalischen Anfängerpraktikum, und mit der Einstellung von Herrn Borchardt (Anm. G. S.: Herr Borchardt war schon im alten Kaiser-Wilhelm-Institut als Institutsmechaniker tätig gewesen) begann die Einrichtung einer modernen Institutswerkstatt. Damit waren 2 wichtige Lebensnerven des Instituts in ihren ersten Regungen zu spüren, Praktikum und Werkstatt.

Die Vorlesung selbst mußten Sie im S.S. 1949 aber noch in ein anderes Institut verlegen. Es fand sich in der Physiologischen Anstalt mit Herrn Prof. Fischer als Direktor ein Hörsaal für 300 Hörer. Leider lag dieser aber in der Königin-Luise-Straße, noch dazu im dritten Stockwerk! Damit war er nur durch einen halbstündigen Fußmarsch von unserer Keimzelle in der Boltzmannstraße zu erreichen. Dies bedeutete eine erhebliche Belastung für die Hörer und eine Bewährungsprobe für die Apparate, die auf Fahrrädern mit Kisten auf den Gepäckständern dorthin transportiert wurden! Durch die Transportschwierigkeiten der Blockade trafen die Geräte verspätet hier ein, Ende Mai 1949 begann die erste Experimentalvorlesung Mechanik, Akustik, Wärmelehre der Freien Universität. Sie lasen die Vorlesung doppelt. Dabei füllte die Schar der 799 zweimal den Hörsaal mit nur ca. 300 Plätzen.

Als wir uns, allerdings etwas außer Atem, nach den vergangenen Wochen umsahen, waren jedoch 90 % aller Vorlesungsversuche, die Sie in dem kurz zusammengedrängten Stoff behandelt hatten, mit ihren Experimenten vorgeführt. Bei den vorhin genannten Hindernissen war dies gewiß ein Anfangserfolg.

Inzwischen mußte die Stadtentwässerung weiter zusammenrücken. Die Zahl der Institutsmitglieder war weiter gewachsen, die Experimentiertische trafen ein. Wir türmten sie in den Fluren auf, um sehr deutlich zu zeigen, wie dringend wir mehr Platz benötigten.

Im Oktober 1949 endlich wurde das Haus frei, wir liefen durch kahle Räume, in denen höchstens noch die Deckenlampen hingen, und ein paar Steckdosen ihren Dienst versehen konnten. Wir zogen hocherfreut aus unserer Keimzelle in die übrigen Institutsräume um, die Hausmeisterwohnung erfüllte von da an ihren ursprünglichen Zweck. Eine Schar von Handwerkern hielt mit uns gleichzeitig Einzug in die Laboratoriumsräume. Mit ihrem eifrigen Hämmern und manchen Mauerdurchbrüchen und Stemmarbeiten für die Gas- und Wasserinstallation verliehen sie aber dem Haus mehr Bergwerks- als Institutscharakter!

Im W.S. 1949/50 wurde zum ersten Male das Physikalische Praktikum durchgeführt. Auch dafür lag eine hohe Zahl von 470 Teilnehmern (Anm. G. S.: Nach den Praktikumsunterlagen gab es im WS 1949/50 383 Teilnehmer) vor, für den Anfang fast erdrückend! Die Teilnehmerzahl wurde in den folgenden Semestern geringer, vor allem wurde der Anteil der Medizinstudenten kleiner. Aber im jetzigen 15. Praktikumssemester hat sie wieder die Zahl von rund 450 erreicht, die wohl die obere Grenze bei der heutigen Institutseinrichtung darstellt. Die Zahl der fertiggestellten Versuche ist im Laufe der Zeit auf rund 100 angewachsen.

In das frei gewordene Haus zog mit uns gemeinsam erfreulicherweise gleich das Institut für Theoretische Physik mit ein, das Herr Prof. Ludwig leitet. Da das Haus für den Anfang für die Physik allein etwas groß war, nahm es auch Herrn Prof. Dinghas mit seinem Mathematischen Institut mit auf. Dies war aber nur eine Übergangslösung. Denn zum einen waren wir Physiker mit unseren Handwerkern, dann mit klappernden Kapselpumpen, laufenden Maschinen oder knatternden Funkenstrecken den Mathematikern zu lärmend, zum andern mußten erneut die Möglichkeiten zu experimentellen Arbeiten sehr bald erweitert werden. Nach dem Auszug des Mathematischen Instituts 1954 richtete dann Herrn Prof. Honerjäger das II. Physikalische Institut in diesen Räumen ein. So entstand unter glücklicher Regie die Symbiose der Physik unter dem gemeinsamen Dach des Max-Planck-Institutes.

Dieser Hörsaal, in dem wir heute sitzen, war einmal als Kältelaboratorium des Kaiser-Wilhelm-Institutes errichtet worden. Aber auch seine Einrichtungen waren 1945 restlos demontiert. Nach einiger Zeit fand der Raum als Kirche für die Amerikaner Verwendung, bis dann 1949/50 das Kuratorium die Mittel bewilligen konnte für einen erstmaligen, noch provisorischen Ausbau. Es bedeutete aber schon einen großen Fortschritt, den Hörsaal in unmittelbarer Institutsnähe zu haben. 1952 erhielt er dann in einem endgültigen Ausbau seine heutige Gestalt für etwa 300 Hörer

Den Arbeiten im Laboratorium fehlte vor allem eine ausreichende Spannungsversorgung. Da auch die Hochspannungsnetzstation der Bewag 1945 restlos ausgebaut worden war, wurde das gesamte Institut mit dem für eine Einspeisung von 6000 Volt dimensioniertem Kabel niederspannungsseitig, also mit 220 Volt, eingespeist. Bei einer größeren Stromentnahme, es brauchte nur mal der Fahrstuhl in Betrieb gesetzt zu werden, rutschte die Spannung an dem viel zu hochohmigen Kabel um ca. 20 und mehr Volt ab. Das mußte jede elektrische Meßreihe fehlerhaft machen. Die Bewag wurde in vielen schwierigen Verhandlungen überzeugt, eine neue Netzstation zu errichten, was sie dann auch, allerdings nur schweren Herzens, tat!

Ein wesentlicher Teil des Neuaufbaus im Institut war aber die elektrische Experimentieranlage, d.h. die Spannungsversorgung der einzelnen Labors. Das Kuratorium bewilligte freundlicherweise die erheblichen finanziellen Mittel dafür und 1952 hatte die Firma Siemens die Anlage fertig gebaut. Erst mit ihrer Fertigstellung waren die meisten Schwierigkeiten für Forschung und Lehre überwunden.

Im Interesse des allgemeinen Unterrichtsbetriebes waren in den ersten Semestern die wissenschaftlichen Arbeiten zurückgestellt. Von 1952 an wurden aber laufend Diplomarbeiten und Doktorarbeiten fertiggestellt, die zum Teil bereits schöne Resultate zeigten. Heute sind 9 wissenschaftliche Arbeiten größeren Umfangs in Angriff genommen, die Zahl der Diplomarbeiten ist auf 29 gestiegen. Aber trotz der hinzugekommenen Kapazität des II. Physikalischen Institutes ist es immer noch nicht möglich, alle Arbeiten im Institut selbst durchzuführen. Damit die Kandidaten jedoch die Möglichkeit für den Abschluß ihres Studiums haben, laufen in der Industrie oder anderen Ortes 17 Diplom- und 7 Doktorarbeiten, deren Schirmherrschaft Sie übernommen haben.

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