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Das Institut für Theoretische Physik

Das Institut für Theoretische Physik entstand mit der Berufung von Günther Ludwig im September 1949. G. Ludwig kam aus Göttingen, wo schon bald nach dem Ende des Krieges unter vergleichsweise günstigen Umständen Physik betrieben werden konnte. Er hatte dort über Projektive Relativitätstheorie gearbeitet.

Dies führt zurück zu den Anfängen, als übrigens die Professoren wegen der besonderen rechtlichen Stellung der Freien Universität nicht den Beamtenstatus erhielten. Beamte auf Lebenszeit wurden sie erst 1955.

Günther Ludwig war ein unkonventioneller, dynamischer, ganz der modernen Physik und ihren Grundlagen zugewandter Theoretiker. Bei seiner Berufung im Jahre 1949 war er 31 Jahre alt. Größer konnte man sich den Gegensatz zum Physikalischen Institut, seinem Direktor und seinen Arbeitsgebieten, kaum denken. Es spricht für die handelnden Personen, paßt aber auch zu dem „milden“ Geist und der Aufbruchsstimmung in jenen Jahren, daß das Zusammenleben auf engem Raum im Hause Boltzmannstraße 20 in gutem Einvernehmen und gegenseitiger Achtung verlief. Sogar Feste feierte man gemeinsam.

In einem Vortrag zum 40-jährigen Jubiläum der Freien Universität Berlin im Jahre 1988 hat sich Wolfgang Weidlich, Professor an der Universität Stuttgart, an seinen Lehrer erinnert: " Der herausragende akademische Lehrer war für uns angehende Theoretische Physiker natürlich Günther Ludwig. Seine Gebiete waren die Grundlagen der Quantentheorie und die Quantenfeldtheorie. Schon 1950 war man auf der Höhe der Zeit, wenn man etwa die Ausarbeitung eines Ludwig’schen Seminars über Quantenelektrodynamik von Georg Süßmann las. Das Lehrbuch „Grundlagen der Quantentheorie“ von Ludwig im Jahre 1954 übertraf an Tiefe alle vergleichbaren Bücher auf dem Markt, und seine neueren Lehrbücher über den quantenmechanischen Meßprozeß sind in ihrer Art einzigartig und in ihrem Inhalt noch nicht ausgeschöpft. Diese tiefe Grundlagenausbildung kam uns später allen zugute. Allerdings war Ludwig mit seinem souveränen Blick für die Tiefenstruktur einer Theorie weniger an der Vielfalt konkreter Anwendungen interessiert. Deshalb empfanden manche von uns in dieser Hinsicht einen Nachholbedarf. Es erwies sich jedoch als leichter, vom Grundlagenverständnis zu konkreten Anwendungen überzugehen, als etwa den umgekehrten Weg einzuschlagen."

Neben der Quantenfeldtheorie spielte die Hydromechanik eine Rolle. Mehrere Arbeiten aus dem Institut befaßten sich mit Themen aus diesem Gebiet, was offenbar mit der Tätigkeit von G. Ludwig beim Raketenprojekt in Peenemünde während des Krieges zusammenhing.

Günther Ludwig war auch am akademischen Leben außerhalb der Fachgrenzen beteiligt, z.B. als Vortragender bei den Universitätswochen am Beginn des Wintersemesters 1951/52, die unter dem Thema "Die Persönlichkeit in unserer Zeit" standen, Im Rahmen einer Vortragsreihe "Die Freie Universität spricht zu Ihnen" hatte er im August 1951 in der Aula einer Schule im Bezirk Kreuzberg über "Natur als Fundament der Kultur" gesprochen.

In den fünfziger Jahren kamen Assistenten von der Humboldt-Universität zu Günther Ludwig ins Seminar, bis es ihnen verboten wurde. Im Sommer 1963 ging G. Ludwig nach Marburg. Aus dem Kreis seiner Berliner Schüler gingen 13 Professoren hervor.

Am 1. Januar 1961 wurde Wolfgang Wild ao. Professor für Theoretische Physik, nahm aber schon im folgenden Jahr einen Ruf nach München an. Ihm folgte auf die ao.-Professur am 1. November 1962 Gerald Grawert. G. Grawert war ein Schüler von Günther Ludwig, hatte über Quantenfeldtheorie gearbeitet und konnte insofern die junge Berliner "Tradition" fortführen. Er kam von der Universität Heidelberg und hatte sich an der Universität Frankfurt mit einer Arbeit über das Lee-Modell habilitiert. 1965 folgte er einem Ruf auf eine ordentliche Professur in Marburg.

Zuvor waren nach dem Ausscheiden von G. Ludwig zwei ordentliche Professuren für Theoretische Physik besetzt worden. Forschungsschwerpunkt wurde die Elementarteilchen-physik. Zum 1. Oktober 1963 wurde Werner Theis berufen; am 15. November folgte Fritz Penzlin. W. Theis kam von der Universität Hamburg. Er hatte einige Zeit bei Wolfgang Pauli in Zürich gearbeitet und war mit Arbeiten zur Elementarteilchen-Theorie, u.a. zur Theorie der Schwachen Wechselwirkung, hervorgetreten. Vor seiner Berufung an die Freie Universität war er Gastdozent in Karlsruhe gewesen. F. Penzlin kam von der Universität Heidelberg und hatte sich dort unter dem späteren Nobelpreisträger Hans Jensen habilitiert.

Im Jahre 1962 erhielt das Institut als Leihgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Rechner Zuse Z 23; er wurde im Gebäude Ihnestraße 56 aufgestellt. Das Institut konnte außerdem Arbeitsräume im gegenüber liegenden Haus Ihnestraße 53 beziehen. Die Z 23 war der erste deutsche transistor-gesteuerte Rechner; es waren schon höhere Progammiersprachen möglich.

Die Rechenanlage, zu der bald auch ein graphischer Plotter (Graphomat) gehörte, übernahm unter den Betreuern Dieter König und Joachim Zeiler nach und nach Service-Funktion auch für die anderen Physik-Institute, schließlich auch für Institute anderer Fächer. Eng war die Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Statistik der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Die Gruppe um die Z 23 wurde zur Keimzelle für die 1972 gegründete "Zentraleinrichtung für Datenverarbeitung".