50 Jahre Fachbereich Physik
Vor 50 Jahren wandelte sich die Freie Universität von einer klassischen Ordinarienuniversität zu einer Gruppenuniversität. Die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät wurde aufgelöst. Die physikalischen Institute fügten sich zu einem eigenständigen Fachbereich zusammen. Für die Physik an der Freien Universität begann 1970 die Zeit des Wachstums und intensiver kooperativer Forschungsarbeit. Die heute bestehenden Mitbestimmungsrechte für Studierende und Universitätsangestellte gehen ebenfalls auf die Reformen jener Zeit zurück.
News vom 28.06.2020
Das Berliner Universitätsgesetz von 1969 leitete eine durchgreifende Reform der Freien Universität ein: An die Stelle von sechs Fakultäten traten 24 Fachbereiche und sechs Zentralinstitute, die als autonome Lehr- und Forschungseinrichtungen arbeiten sollten. Die Lehrstühle ordentlicher Professoren (Ordinarien) wurden in Arbeitsgebiete überführt. Strukturen der akademischen Selbstverwaltung wurden etabliert, in denen allen Statusgruppen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte garantiert wurden. Die Universitätsverwaltung wurde zu einem Instrument modernen Wissenschaftsmanagements ausgebaut.
Zum ersten Präsidenten der Freien Universität wurde der 31-jährige Diplomphysiker und Soziologe Rolf Kreibich gewählt, der Physik unter anderem auch an der Freien Universität studierte. Er führte die Freie Universität durch die stürmische Zeit interner und gesellschaftlicher Widerstände, bis er sich ab 1976 der Zukunftsforschung widmete.
Fachbereich Physik – Wachsen mit gebündelten Kräften
Die konstituierende Sitzung des Fachbereichsrats der Physik fand am 15 Juni 1970 statt. Zum Vorsitzenden wurde Dr. Helmut Gabriel gewählt. Im Fachbereichsrat, in dem auch Studierende und Fachbereichsangestellte vertreten waren, wurden ab nun alle Entscheidungen über die Forschung und Lehre gefällt.
1974 wurde eine Fachbereichsordnung verabschiedet, die eine Gliederung des Fachbereichs in fünf wissenschaftliche Einrichtungen vorsah: Institut für Atom- und Festkörperphysik, Institut für Molekülphysik, Institut für Kernphysik, Institut für Theorie der Elementarteilchen, Institut für Theorie der kondensierten Materie. Der Fachbereich führte später die Biophysik wieder ein, die dem Institut für Atom- und Festkörperphysik zugeordnet und in der Folgezeit ein wichtiger Bestandteil der Forschung im Fachbereich wurde.
Mit neuen und vermehrten Berufungen wurde das Forschungsprofil des Fachbereichs auf einen international anerkannten Stand gebracht. Durch die Schaffung weiterer Stellen wie Assistenzprofessuren und Akademischen Räte konnte der Lehrkörper vergrößert werden.
Die Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen wurde intensiviert, sodass auf Initiative von Professor Dr. Stefan Hüfner ein erster Sonderforschungsbereich 1972 am neuen Fachbereich entstehen konnte. Der SFB 161 „Hyperfeinwechselwirkungen“ mit Professor Dr. Gabriel als seinem langjährigen Sprecher befasste sich mit der Kern-Elektron-Wechselwirkung in angeregten Kernzuständen, in Atomen und Molekülen sowie über die Hyperfeinwechselwirkung mit der elektronischen Struktur von kondensierter Materie. Er war der erste Sonderforschungsbereich mit der besonders langen Laufzeit von 14 Jahren.
Im März 1970 besuchte der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Hans Leussink, die Freie Universität und sagte finanzielle Unterstützung für den Bau von neuen Universitätsgebäuden, speziell für ein neues Physikgebäude, zu. Der Physikneubau in der Arnimallee 14 konnte schließlich 1982 bezogen werden.
Die ungeliebte Reform
Die Reformierung der Freien Universität wurde von kleinen und großen Kämpfen geprägt: studentischen Protestbewegungen, dem Kampf zwischen linksradikalen Studierenden, reformwilligen Verwaltungsangestellten, dem Universitätspräsidium und konservativen Professoren. In den Gremien wurde sehr viel Zeit mit Diskussionen verbracht. Es gab universitätsweit Institutsbesetzungen, Vorlesungsstörungen, Streiks, Klagen gegen die Fachbereichsbildung und erbitterten Streit um Lehrinhalte, Personalentscheidungen und Prüfungsordnungen. „Der Fachbereich Physik war bemüht, sich solchen Auseinandersetzungen zu entziehen und einer sachbezogenen Offenheit den Vorrang zu geben“, kommentierte der damalige Sprecher Dr. Gabriel im Rückblick.
In dieser Situation war eine Neugestaltung der Universitätsstrukturen in demokratischer Gremienarbeit vielfach blockiert, etliche Reforminitiativen wurden zwischen den verhärteten Fronten zerrieben. Schließlich wurden Teile der Reform von staatlicher Seite rückgängig gemacht.
Ein langer Weg der Modernisierung
Modernisierung und Demokratisierung der Freien Universität wurden damals trotz aller Widerstände auf den Weg gebracht. Die Promotions- und Studiengebühren wurden abgeschafft. Die Fachbereiche behielten ihre Existenz und Autonomie, auch wenn die Anzahl der Fachbereiche an der Universität und die Anzahl wissenschatlicher Einrichtungen am Fachbereich Physik in den folgenden Jahrzenten wieder reduziert wurde.
Die Einrichtung von Assistenzprofessuren bewährte sich als eine Maßnahme, um wissenschaftlichen Nachwuchs speziell für das Fach Physik zu gewinnen. Zwar verschwanden die Assistenzprofessuren in den Jahrzehnten darauf aus dem akademischen Leben, als neues Instrument der Nachwuchsförderung wurde 2002 die Juniorprofessur eingeführt.
Die Mitbestimmungsrechte unterschiedlicher Akteure innerhalb der Universität wurden in den Folgejahren mal zurückgenommen, mal wieder ausgeweitet. Am Fachbereich Physik etablierte sich die Mitbestimmungskultur und hielt bis heute an: Nach wie vor sind alle universitären Statusgruppen im Fachbereichsrat Physik vertreten. Die Studierenden sind an der Ausbildungskommission beteiligt und die Fachschaftsinitiative setzt sich für die studentischen Belange ein.
Aus der Umbruchsstimmung der 1970er Jahre konnte der Fachbereich aber noch nicht alle Impulse mitnehmen. Nachhaltige Veränderungen für mehr Vielfalt und Frauenförderung in der Physik ließen bis zu den 1990er Jahren auf sich warten.
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