Erste Schritte einer Reform
Bis zur Mitte der sechziger Jahre verlief die Lehre in den überkommenen Bahnen. Experimentalphysik und Theoretische Physik berührten sich in ihren Inhalten kaum, und es gab eine deutliche Trennungslinie zwischen Grundstudium und Hauptstudium, die dem Grundstudium ausschließlich die klassische, phänomenologische Physik zuwies, ohne Verzahnung mit der (zunächst spärlich vertretenen) "höheren" Experimentalphysik im Hauptstudium.
Einen ersten Schritt zur Reform bedeutete eine Umgestaltung des Anfängerpraktikums im Winter 1966/67. Die strenge Aufteilung nach Disziplinen (Teil I: Mechanik - Akustik - Wärme; Teil II: Elektrizität -.Optik) mit einer jeweils gleichen Zahl von Versuchen in beiden Teilen wurde aufgegeben und durch eine Gliederung nach dem Schwierigkeitsgrad der Versuche ersetzt. Vor allem wurde Raum für neue, anspruchsvollere Versuche geschaffen, indem einige einfache Versuche herausgenommen oder zusammengelegt wurden. In dieser Form wurde das Praktikum im Sommersemester 1967 eingeführt - für Physiker weiterhin als zweisemestrig achtstündiges Praktikum, das im dritten und vierten Semester nach dem Besuch der zweisemestrigen Experimentalphysik-Vorlesung zu absolvieren war. Die Vorlesung hatte im Wintersemester 1966/67 Prof. Wilking übernommen, der ihr eine stärker theoretische Ausrichtung gab.
Die nächste Änderung gab es ein Jahr später. Inzwischen war eine (Ende 1966 gegründete) "Studienreformkommission Physik" am Werk, die mit ihrer paritätischen Zusammensetzung aus Professoren, Assistenten und Studenten die spätere Ausbildungskommission nach dem Universitätsgesetz von 1969 vorwegnahm. Sie gab unter dem Vorsitz von Prof. Wilking im Juli 1968 "Empfehlungen zur Einteilung des Physikstudiums in den ersten Semestern" heraus, die eine gleichmäßige Verteilung der Experimentalphysik auf die ersten vier Semester vorsahen: vier Vorlesungen Physik I bis IV (nicht mehr als "Experimentalphysik" bezeichnet !) und vier Praktikumsteile I bis IV von gleichem, vierstündigem Umfang. Für die Vorlesungen Physik I und II waren je sechs Semesterwochenstunden vorgesehen, davon zwei Stunden als Übungen, für die Teile III und IV je vier Semesterwochenstunden. Die Übungen zur Einführungsvorlesungen stellten ein Novum dar.
Es sei angefügt. daß bereits im folgenden Jahr das Praktikum auf drei Semester - beginnend mit dem zweiten Studiensemester - verkürzt wurde. Diese Regelung - viersemestrige Vorlesung und dreisemestriges, phasenverschobenen Praktikum - wurde übrigens nach einer langen Phase der Erprobung anderer Modelle mit einigen bedenklichen Auswüchsen wieder aufgegriffen; sie ist seit 1988 Bestandteil des Studienplans für Physiker.
Auf die wesentliche Erweiterung des Fortgeschrittenenpraktikums durch das Kernphysikalische Praktikum im Hahn-Meitner-Institut vom Wintersemester 1965/66 an wurde schon hingewiesen. Im Brennpunkt der Kritik standen neben dem Anfängerpraktikum, das damals seinen Namen in "Grundpraktikum" änderte und noch jahrelang ein Dauerbrenner für alle möglichen Reformversuche sein sollte, das umfangreiche, zweisemestrige Pflichtpraktikum in Chemie und die Grundausbildung in Mathematik, für die es noch keine Sonderveranstaltungen für Physiker gab. Auch Kritik an den Kursvorlesungen der Theoretischen Physik wurde laut.