Nachruf auf Prof. Dr. Hagen Kleinert
Wie erst vor kurzem bekannt wurde, verstarb am 7. März 2025 Prof. Dr. Hagen Kleinert an den Spätfolgen eines Schlaganfalles. Er gehörte dem Fachbereich Physik über 50 Jahre lang an.
News vom 28.08.2025
Hagen Kleinert wurde am 15. Juni 1941 in Festenberg nahe Breslau geboren, wuchs in Hannover auf, machte 1960 dort das Abitur und studierte dann an der TH Hannover, wo er 1962 das Vor-diplom in Physik mit Auszeichnung ablegte. 1963 ging er in die USA, zunächst an das Georgia Institute of Technology, Atlanta, wo er 1964 Master of Science wurde, und dann nach Zwischen-stationen an die University of Colorado, Boulder, wo er 1967 bei Asim Barut promovierte. Etwas später kehrte er nach Deutschland zurück, habilitierte sich 1969 an der FU Berlin und wurde hier im gleichen Jahr AH4-Professor. Nach der Ablehnung zweier Rufe wurde er 1976 zum ordentlichen Professor (AH6) ernannt und hatte diese Stelle bis zu seiner Emeritierung 2009 inne.
Hagen Kleinert war an sich in der Elementarteilchenphysik angesiedelt, doch sein Oeuvre geht darüber weit hinaus. Die Themen reichen vom Wasserstoffatom bis zur Gravitation und von Schmelztheorien bis zu Finanzmarktschwankungen. Sucht man ein übergeordnetes Motto, so findet man es im Titel der schönen und informativen Festschrift zu seinem 60. Geburtstag: Fluktuierende Pfade und Felder. Die Doktorarbeit samt den vielen Folgepublikationen fällt etwas heraus, da befasste er sich mit dynamischen Symmetriegruppen bei Wasserstoffatom und Elementarteilchen, ebenso die Regge-Theorie, zu der er eine Reihe von wichtigen Beiträgen lieferte. Aber später zeigte er, wie man über Pfadintegrale kollektive Felder etwa für Paare von Teilchen einführt, die bei Hadronen ebenso wie bei Supraleitern oder supraflüssigem Helium-3 benutzt werden können. Und 1978 gelang es ihm zusammen mit einem türkischen Postdoc, Ismail Duru, auch das Wasserstoffatom mit Pfadintegralen zu behandeln. Der Vorschlag dazu stammte von Richard Feynman, mit dem er auch ein sehr genaues Verfahren für die Approximation quanten-mechanischer Zustandssummen durch klassische Verteilungsfunktionen entwickelte. Das ist seine meistzitierte Arbeit, und er hat die Zusammenarbeit später ausführlich beschrieben. Die sogenannte Variations-Störungstheorie, die eine Resummation divergenter Störungsreihen erlaubt, hat hier ihre Wurzeln. Für die Phi⁴- Theorie führte dies zu extrem genauen Werten für die kritischen Exponenten und einem ganzen Buch mit seiner Studentin Verena Schulte-Frohlinde. Andere Arbeiten befassten sich mit den Eigenschaften realer Membranen, ein Thema, das im Fachbereich von Wolfgang Helfrich auch experimentell untersucht wurde, und mit den Membran-Eigenschaften konden-sierender Strings. Viele weitere Themen sind auf seiner Homepage zu finden.
All dies schlug sich in rund 400 Publikationen nieder, zur Hälfte allein verfasst und typischerweise im Letter-Format. Es gehörten aber von Anfang an auch didaktisch sehr gut geschriebene Über-sichtsartikel dazu und ab den 90er Jahren umfangreiche Monografien. Von diesen wurde das Buch über Pfadintegrale zu einem Standardwerk, das ihn weithin bekannt machte. Andere Bücher behandeln die erwähnten kollektiven Felder oder Eichfelder zur Beschreibung von Wirbeln und Defektlinien. Als er 2008 den Max-Born-Preis der deutschen und der britischen physikalischen Gesellschaft erhielt, war das “in Würdigung seiner vielen herausragenden Beiträge zur theoreti-schen Physik, insbesondere zur Theorie der Pfadintegrale und der Eichfeldtheorien in der Elementarteilchenphysik und in der Physik der kondensierten Materie.”
Hagen Kleinert konnte sehr anregend, aber auch anstrengend sein. Er war extrem spontan, sehr schnell und technisch außerordentlich stark. Er konnte vieles im Kopf herleiten und in Diskussionen ein enormes Hintergrundwissen einbringen. Von Anfang an war er rührig, brachte Leute an den Fachbereich und hatte immer eine Gruppe von Gästen und Mitarbeitern, wobei er ein Dutzend Promotionen betreute. An Sonderforschungsbereichen war er jedoch nicht beteiligt, er wollte sich nicht jahrelang festlegen und hatte auch selbst kein langfristiges Programm. Vielmehr schaute er nach Problemen, die er für interessant hielt und die er mit seinen Methoden eventuell bearbeiten konnte. Er besaß eine Neigung, mit anderen in Wettbewerb zu treten, und es war ihm wichtig, international deutlich sichtbar zu sein. Das war auch zweifelsohne der Fall: Er hielt viele Vorträge auf Konferenzen und Sommerschulen, organisierte 2006 auch ein großes Treffen über allgemeine Relativität an der FU Berlin und war freundschaftlich mit einer Reihe sehr renommierter Physiker wie Murray Gell-Mann, Gerard t’Hooft, Yuval Ne’eman oder Kazumi Maki verbunden.
Hagen Kleinerts Interessen endeten nicht bei der Physik, er beherrschte mehrere Sprachen, darunter Italienisch, besaß überhaupt eine Affinität zu diesem Land und sang in entsprechender Stimmung auch Arien aus italienischen Opern. Der Fachbereich Physik hat mit ihm eine markante Persönlich-keit verloren, die zu seinem wissenschaftlichen Profil erheblich beigetragen hat und eine deutliche Lücke hinterlässt.
Ingo Peschel (Fachbereich Physik), Wolfhard Janke (Universität Leipzig) und Johannes Blümlein (DESY Zeuthen).