Interview mit Nona Rahmat - Der Karriereweg einer Physikerin in der freien Wirtschaft
Nona Rahmat absolvierte im Jahr 2012 ein Physikstudium an der Freien Universität Berlin. Unmittelbar nach dem Studienabschluss stieg sie in die Beratungsbranche ein.
Heute arbeitet Nona als Lead Business Consultant in einem führenden Software- und Beratungsunternehmen für Finanzdienstleistungen. Sie erzählt über den Lebensweg als Physikerin und gewährt Einblicke in ihren Beruf als Beraterin.
Nona, woher kam Ihr Interesse für Physik? Spielte die Familie da eine Rolle?
Meine Familie ist zwar technikbegeistert, hat selbst aber keinen Bezug zur Physik. Die größte Rolle spielte mein persönliches Interesse und die Schule. Meine Eltern unterstützten mich lediglich in meinen Interessen und Vorhaben, sei es bei der Begeisterung für Naturwissenschaften oder beim Umzug nach Berlin für ein Studium im Jahr 2004.
In meiner Heimat Iran besuchte ich in Teheran ein Gymnasium für hochbegabte Schülerinnen. Hier durften wir uns in verschiedenen Themen ausprobieren - von den Naturwissenschaften bis hin zur Kunst. Ich entdeckte für mich Chemie und Physik und trug die Faszination für diese Fächer bis in mein Studium hinein. Im Nebenfach studierte ich zum Beispiel die physikalische Chemie.
Warum ist Ihre Wahl auf die Freie Universität Berlin gefallen?
Ich wollte unbedingt in Berlin studieren. Unter den Berliner Unis hat mir die offene Atmosphäre an der Freien Universität am besten gefallen.
Was waren die Schwerpunkte in Ihrem Studium?
Ich spezialisierte mich auf die theoretische Physik und fand die Quantenfeldtheorie sehr spannend. Die Quantum Field Theory (QFM) kombiniert die Prinzipien klassischer Feldtheorien und der Quantenmechanik. Sie formuliert das Standardmodell der Teilchenphysik, um die fundamentalen Bausteine der Materie und ihre Wechselwirkungen zu beschreiben.
Meine Diplomarbeit war allerdings experimenteller Natur und berührte Teilgebiete der Chemie. Als Mitglied der Arbeitsgruppe Wöste untersuchte ich mithilfe von Femtosekunden-Spektroskopie „Selektive zweiphotonische Anregung in Farbstoff-Mischungen“.
An welche Momente am Fachbereich Physik denken Sie besonders gerne zurück?
Ich denke gerne an Menschen zurück, die mir in der Zeit begegnet sind und die mich geprägt haben. An Mitstudierende: Der Zusammenhalt war immer sehr angenehm und hat einiges einfacher gemacht.An Dozent*innen und Tutor*innen: Die herzliche Art von Dr. Ludger Wöste mit seiner Begeisterung für Physik und einer Fähigkeit, andere für Physik zu begeistern. Ich denke genauso gerne an Dr. Katharina Franke zurück, die damals unsere Tutorin im ersten Semester war und aktuell die Professorin am Fachbereich ist. Oder Frau Dr. Stefanie Reich, die uns in Ihrer Vorlesung für das Thema wissenschaftliche Arbeit und Betrug sensibilisiert hat. Ich erinnere mich gerne an die Vorlesungen von Dr. Ingo Peschel und Dr. Hagen Kleinert, mit denen viele Anekdoten verbunden sind.
Gab es auch persönliche Highlights?
Für mich war das die Arbeit als Tutorin bei Vorlesungsvorbereitung: Es herrschte im Team eine angenehme Kollegialität und es wurde strukturiert und nachhaltig gearbeitet.
Was waren die schwierigsten Hürden auf dem Weg zu einem Physikabschluss?
Das Physikstudium ist sehr zeitintensiv. Es gibt Themen, die ein tiefes Verständnis verlangen. Bei einigen Themen bin ich an meine Grenzen gestoßen. Man darf aber nie den Mut verlieren. Der Austausch mit anderen Studierenden, Tutor*innen und Dozent*innen war von unschätzbarem Wert. Physik ist nach meiner Erfahrung kein Fach, das man alleine im stillen Kämmerlein bewältigt. Damit man das Verständnis für die Themen entwickeln kann, ist die Kommunikation mit anderen Physiker*innen unumgänglich.Die Tatsache, dass eine Frau in Physik besonders im Fokus steht, baut einen zusätzlichen unbewussten Druck auf. Leider gibt es immer noch Männer, die der Meinung sind, dass Frauen in den Naturwissenschaften nichts zu suchen haben. Zu manchen Studentenverbindungen finden Frauen keinen Zugang und können von diesen Netzwerken nicht profitieren. Die Vorbehalte wegen meiner Herkunft sind mir im Studium begegnet, auch wenn es eher eine Ausnahme war.
War der Einstieg in die Beratungs- und Finanzbranche eine bewusste Entscheidung?
Zur Beratung in der Finanzbranche bin ich eher durch Zufall gekommen. Eine akademische Karriere hätte ich mir durchaus vorstellen können. Den Druck mit befristeten Stellen und der finanziellen Unsicherheit wollte ich mir allerdings nicht antun. Politisch bedingt gab es damals wie auch heute wenig wissenschaftliche Stellen mit Festanstellung. In meinem Studium habe ich beobachtet, dass gute Leistung nicht zwangsläufig eine stabile akademische Laufbahn sichern kann und dass die Vergabe der Stellen zum Teil intransparent verläuft. Aus diesem Grund habe ich mich für die freie Wirtschaft entschieden und bin über die Suche in den Stellenanzeigen zu einer Stelle in einem Beratungsunternehmen gekommen.
Was sind genau Ihre Aufgaben als Lead Business Consultant?
In meinem Beruf als IT-Beraterin für Finanzindustrie fungiere ich in der Schnittstelle zwischen Software-Entwickler*innen und Bankfachleuten. Ich sorge dafür, dass die Produkte, die im Haus oder durch einen Drittanbieter entwickelt werden, qualitätsgesichert sind und den Anforderungen der Bank genügen.
Zusätzlich unterstütze ich meine Vorgesetzten bei der Teilnahme an Ausschreibungen und stehe den neuen Kollegen als Mentorin bei. Die Arbeit ist vielfältig und die Aufgaben unterscheiden sich je Kundenauftrag. Ich habe mich in den letzten Jahren zur Testmanagerin spezialisiert.
Für Physiker*innen gibt es in der Branche aber natürlich viele andere Möglichkeiten. Bei meinem Ex-Arbeitgeber, ebenfalls einem Consultingunternehmen, hatten rund 60 Prozent aller Berater Physik studiert. Es zeigt einfach, dass unsere analytischen Fähigkeiten und Problemlösungskompetenzen im Markt sehr gefragt sind.
Welche Fähigkeiten, die Sie im Physikstudium erworben haben, kommen sonst im Beruf zum Einsatz?
Viele Bewertung- oder Berechnungsmodelle im Risikomanagement oder in der Produktbewertung ähneln physikalischen Modellen. In der Physik geht es darum, natürliches Verhalten mithilfe mathematischer Modellen zu beschreiben, um Ereignisse voraussagen zu können. Diese Herangehensweise kann in vielen Bereichen eingesetzt werden, wo es darum geht, gewisse Muster zu erkennen und das Verhalten zu verstehen. Die Fähigkeiten aus Informatik und ein technisches Verständnis sind auch hilfreich.Heißt das, dass ihr beruflicher Alltag sehr techniklastig ist?
Nur im geringen Maße. Aktuell besteht meine Aufgabe zum großen Teil aus Kommunikation und Koordination.
Worauf müssen sich Physikabsolvent*innen einstellen, wenn sie auf eine Jobsuche in der freien Wirtschaft gehen?
Ein tiefes Verständnis der Sachverhalte ist hier weniger wichtig als der Wille und die Fähigkeit, auf bestimmte Zielvorgaben effizient hinzuarbeiten. Die Hartnäckigkeit der Physikerinnen wirkt sich auf die beruflichen Erfolge sicherlich positiv aus.
Was mögen Sie an Berlin?
Ich mag Berlins Vielfältigkeit und die Tatsache, dass jede*r die Person sein darf, die er*sie sein möchte.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Was sind Ihre Hobbys?
Ich habe mich immer für Filme und Belleristik begeistert. Auch Physik gehört mittlerweile zu meinen Hobbys.
Sind Highheels, Lippenstift und Physik kompatibel?
Ja und nein gleichzeitig. Highheels und Bleistiftröcke sind für jede Tätigkeit, die mit Bewegung zu tun hat, zum Beispiel für Laborarbeiten, ziemlich unpraktisch. Was aber nicht heißt, dass Physikerinnen nicht feminin sein dürfen oder dass sie keine Physikerin sein können, wenn sie feminin und schön sind. Frau kann eben feminin und kompetent sein - entgegen der weit verbreiteten Einstellung in Deutschland.
Leider ist der Weg zu mehr Anerkennung für die Arbeit der Physikerinnen noch ziemlich lang. Sehr gute Physikerinnen bleiben oft unter dem Radar der Öffentlichkeit. Auch die Lehrer*innen ermutigen die Schülerinnen nicht genug sich in den Naturwissenschaften auszuprobieren.