Das Forschungsteam von Prof. Dr. Holger Dau erklärt in „Nature“ die Bildung des Sauerstoffs (O2) der Erde
40 Kilogramm Spinat, 3 Millionen Laserblitze, 600.000 simulierte Atome waren nötig, um in Zusammenarbeit mit einem Forschungsteam der italienischen Universität L’Aquila ein Schlüsselelement der photosynthetischen Sauerstoffentwicklung zu identifizieren.
Ein Forschungsteam um den Physiker der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Holger Dau, und dem Physiker der italienischen Universität L’Aquila, Prof. Dr. Leonardo Guidoni, hat die Bewegung von Elektronen und Atomen in der photosynthetischen Sauerstoffbildung experimentell und rechnerisch nachverfolgen können. Die Studie, die gerade im renommierten Fachmagazin „Nature“ erschien, liefert Einblicke in den biologischen Prozess, der wahrscheinlich in den letzten drei Milliarden Jahren auf der Erde unverändert abgelaufen ist. Die Erkenntnisse können auch für die Produktion von grünem Wasserstoff oder anderen erneuerbaren Brennstoffen bedeutsam sein.
News vom 11.05.2023
Der Sauerstoff (O2) der Erdatmosphäre wird durch die lichtgetriebene Spaltung von Wasser in Pflanzen, Algen und Cyanobakterien gebildet. Dieser Prozess konnte in aufwendigen Experimenten mit Infrarotlicht nachverfolgt und mittels quantenchemischer Simulationen verstanden werden. Die Wissenschaftler betonen den Zusammenhang zur Produktion von grünem Wasserstoff oder anderen erneuerbaren Brennstoffen, die dem biologischen Vorbild folgt.
„In technischen Systemen zur Produktion erneuerbarer Brennstoffe sind sowohl die Verwendung seltener Edelmetalle als auch hohe Energieverluste ein Problem. Nun können gezielt edelmetallfreie Materialien entwickelt werden, bei denen die gekoppelte Bewegung der Elektronen und Protonen minimale Energieverluste ermöglicht," sagt Holger Dau.
Die Bildung des O2-Moleküls beginnt in einem Zustand mit vier angesammelten Elektronenlöchern, dem S4-Zustand, der vor mehr als einem halben Jahrhundert postuliert wurde und seitdem rätselhaft geblieben ist. Die Forschungsteams um Dau und Guidoni haben nun dieses fehlende Schlüsselelement in der photosynthetischen O2-Bildung identifizieren können.
Nach mehrjähriger Vorbereitung gelang ein aufwendiges Experiment, mit dem die Bewegungen der Elektronen und Protonen verfolgt werden konnten. Hierzu wurden Partikel des Photosystem II Chlorophyll-Protein-Komplexes aus 40 Kilogramm Spinat isoliert. Dann wurden über 7 Monate ca. 3 Millionen Laserblitze gefeuert und für jeden von diesen der Zeitverlauf eines Infrarotsignals mit Mikrosekundenzeitauflösung aufgezeichnet. Mehrere Terabyte an Messdaten wurden anschließend analysiert und ergaben in Kombination mit Molekülmechanik-Berechnungen für fast 600.000 Atome und quantenchemischen Simulationen das folgende Bild:
Zunächst wird im Protein eine entscheidende Protonenleerstelle durch elektrostatisch ferngesteuerte Seitenkettendeprotonierung erzeugt. Anschließend wird in einem erstaunlichen Einzelelektronen-Multiprotonen-Transferereignis ein reaktives Sauerstoffradikal gebildet. Dies ist der langsamste Schritt in der photosynthetischen O2-Bildung mit nur moderater Energiebarriere und überraschender entropischer Verlangsamung, was auch der Publikation in „Nature“ ihren Namen gab („The electron-proton bottleneck in photosynthetic oxygen evolution“). Die Forschenden identifizieren den zuvor rätselhaften S4-Zustand als ein Sauerstoffradikalzustand; auf seine Bildung folgt eine schnelle O-O-Bindung und O2-Freisetzung.
Die gemeinsame Arbeit des deutsch-italienischen Teams liefert einen Einblick in einen biologischen Prozess, der wahrscheinlich seit drei Milliarden Jahren auf die gleiche einzigartige Weise vonstattengegangen ist. Dieses Wissen ist ferner wichtig, um die Entwicklung künstlicher Wasserspaltungssysteme zu unterstützen.
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